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ÖGHL stellt Individualantrag beim VfGH

 

Informationen zum Individualantrag vom 21. Juni 2023 

 

Pressemitteilung vom 26. Juni 2023 zum zweiten Individualantrag beim VfGH

  • Pressemitteilung der ÖGHL vom 26. Juni 2023
  • Korrektur durch Redaktion vom 27. Juni 2023: 
    Erst nach erster Aufklärung läuft eine 12-wöchige bzw (bei terminaler Erkrankung) eine verkürzte 2-wöchige Wartefrist, nach deren Ablauf erst eine Sterbverfügung errichtet werden kann (und nicht nach Errichtung der Sterbverfügung).
    Dies ändert allerdings nichts daran, dass ein/e Sterbewillige*r, dem/der zB von zwei Ärzt*innen am gleichen Tag oder zeitnah hintereinander ein unerträgliches Leid attestiert wird, dennoch 12 bzw zumindest 2 Wochen warten muss, bis ein assistierter Suizid vorgenommen werden kann.

 

Zusammenfassung der Argumentation des zweiten Individualantrags beim VfGH

Wir haben für Sie, ohne rechtliche Verbindichkeit, die Kernargumente des Antrags nachstehend zusammengefaßt. Der Antrag wurde eingebracht von der ÖGHL und weiteren Antragstellern, vertreten durch Dr. W. Proksch, Kanzlei Ethos.legal, Wien:

 

ÖGHL stellt Individualantrag beim VfGH


Gesetzgeber soll Hürden beim Zugang zu Sterbehilfe abbauen 

Am 11. Dezember 2020 hob der österreichische Verfassungsgerichtshof das bis dahin geltende Verbot der Sterbehilfe („Mitwirkung am Selbstmord“) auf. Er begründete die Entscheidung mit dem Recht auf freie Selbstbestimmung, das aus der Verfassung ableitbar ist. Dies umfasse - so der VfGH - auch das Recht auf selbstbestimmtes Sterben in Würde und die Möglichkeit, dabei die Hilfe eines Dritten in Anspruch zu nehmen. Das Erkenntnis war ein erster Erfolg der ÖGHL, die gemeinsam mit dem Schweizer Verein DIGNITAS die Verfassungsklage betrieben hatte.


Am 1. Jänner 2022 trat das entsprechende Gesetz in Kraft, dem nicht nur die ÖGHL von Beginn an kritisch gegenüberstand. Keine der 139 Stellungnahmen, die während der Begutachtungsfrist eingereicht worden waren, wurde ernsthaft berücksichtigt, und so war das Sterbeverfügungsgesetz (StVfG) nach Meinung vieler Experten unzureichend, lückenhaft und teils sogar widersprüchlich. In den Augen von Juristen wie Wolfram Proksch von der Kanzlei ETHOS.LEGAL war es nicht geeignet, das Erkenntnis des VfGH umzusetzen, und in mehrfacher Hinsicht verfassungswidrig. Bald stand deshalb eine neuerliche Klage im Raum.


Die ÖGHL konnte aufgrund der restriktiven gesetzlichen Rahmenbedingungen nur eingeschränkt tätig sein. Umso intensiver wurde das Jahr 2022 dazu genutzt, die Umsetzung des StVfG genau zu beobachten, individuelle Fälle zu dokumentieren und schließlich einen zweiten Individualantrag vorzubereiten. Nun ist es so weit: am 21. Juni reichte ETHOS.LEGAL, abermals mit Unterstützung durch den Verein DIGNITAS, einen Individualantrag beim Verfassungsgerichtshof ein, um das Sterbeverfügungsgesetz durch das Höchstgericht überprüfen zu lassen. Antragsteller sind die ÖGHL sowie die Mitglieder Mag.a Nikola Göttling (klinische Psychologin und MS-Betroffene), Dr. Marc Henri Hoffmann (Allgemeinmediziner) und Dr. Wolfram Proksch (Rechtsanwalt).


Ungerechtfertigte Schikanen statt Schutz vor Missbrauch

Vordergründig wurde das „Bundesgesetz über die Errichtung von Sterbeverfügungen“ formuliert, um rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die einen assistierten Suizid unter gewissen Voraussetzungen ermöglichen und gleichzeitig Missbrauch verhindern. Tatsächlich stellt sich die Rechtslage nun so dar, dass der Zugang zu Suizidhilfe für Sterbewillige erschwert und verzögert, oft sogar verunmöglicht wird. Das zeigt sich schon an der Zahl der errichteten Sterbeverfügungen. Während die zuständigen Ministerien ursprünglich mit etwa 400 Verfügungen pro Jahr rechneten, wurden im Jahr 2022 lediglich 111 Sterbeverfügungen registriert. Man kann also davon ausgehen, dass nur etwa ein Viertel der geschätzten Personen überhaupt in der Lage waren, die gesetzlichen Einschränkungen und bürokratischen Hürden zu überwinden.


Eine der schwierigsten Hürden bei der Errichtung einer Sterbeverfügung ist das Erfordernis, zwei gesonderte ärztliche Atteste einzuholen, wobei eines davon von einer/einem Palliativmediziner*in stammen muss. Wird eine psychische Erkrankung vermutet, so muss auch noch ein*e entsprechende Fachärzt*in oder klinische Psycholog*in konsultiert werden. Möchte die sterbewillige Person ärztlichen Beistand beim Suizid, so muss schließlich eine weitere Mediziner*in gefunden werden, da die attestierenden Ärzt*innen keine physische Hilfe leisten dürfen. Besonders in ländlichen Gebieten ist die Suche nach derart vielen unterstützenden Medizinern eine große Herausforderung. Dazu kommt, dass Palliativärzt*innen oft bei kirchlichen Trägern angestellt sind, die wiederum assistierten Suizid mehrheitlich ablehnen. Die Zahl der erforderlichen Ärzt*innen stellt eine ungerechtfertigte Hürde dar.

Erschwerend kommt bei der Suche hinzu, dass Auskünfte über attestierende Ärzte sehr uneinheitlich verfügbar sind. Einige Ärztekammern geben aktuelle Listen heraus, andere nicht oder nur an Hausärzte. Ähnliches gilt für Notare, die Verfügungen dokumentieren, und Apotheken, die das letale Präparat abgeben. Konkrete Informationen anzubieten wäre eine typische Serviceleistung von Vereinen wie der ÖGHL, das Gesetz verbietet dies jedoch. Das rigide Werbeverbot verletzt die Informationsfreiheit und behindert die Tätigkeit von Sterbehilfevereinen. 


Eine besonders krasse Diskriminierung sehen die Antragsteller im Verbot der aktiven Sterbehilfe. Menschen, die körperlich nicht (mehr) in der Lage sind, ein letales Präparat zu sich zu nehmen bzw. eine entsprechende Infusion selbstständig zu öffnen, bleibt der assistierte Suizid verwehrt. Um nicht in diese Situation zu kommen, könnten sie sich gezwungen sehen, ihr Leben wesentlich früher als beabsichtigt zu beenden. Die Zweitantragstellerin steht exemplarisch für diese Fälle. Sie möchte den Zeitpunkt ihres Sterbens selbst bestimmen, kann es unter der jetzigen Gesetzgebung allerdings nicht so lange hinauszögern, bis ihre Muskeln versagen. Der Zugang zu aktiver Sterbehilfe kann Leben verlängern, ein Verbot diskriminiert Menschen mit körperlichen Einschränkungen.


Nach der Errichtung der Sterbeverfügung ist eine 12-wöchige Wartefrist bis zur Durchführung einzuhalten. Im Fall einer terminalen Erkrankung kann diese Frist auf zwei Wochen verkürzt werden. Abgesehen davon, dass diese Unterscheidung willkürlich ist, sind zwei Wochen für einen schwer leidenden Menschen immer noch eine unerträglich lange Zeit. Die Fristen sind sachlich nicht rechtfertigbar und verlängern das Leid der Betroffenen unnötig.


Die Sterbeverfügung ist nur ein Jahr gültig (im Gegensatz zur Patientenverfügung, die acht Jahre gilt). Danach muss der gesamte Prozess von neuem durchlaufen werden. Für Menschen wie die Zweitantragstellerin, deren Krankheitsverlauf zeitlich nicht vorhersehbar ist, kann sich der Vorgang daher mehrmals wiederholen – samt der damit verbundenen Kosten. Die kurze Gültigkeit der Sterbeverfügung ist diskriminierend und stellt eine unzumutbare Erschwernis dar.


Die Errichtung einer Sterbeverfügung kann durch einen Notar oder einen rechtskundigen Mitarbeiter der Patientenvertretungen erfolgen, nicht aber durch einen Rechtsanwalt. Der Ausschluss von Rechtsanwälten ist eine unbegründete Schlechterstellung und verletzt das Recht des genannten Berufsstandes, ihre Mandant*innen umfassend zu beraten und zu vertreten. 


Die aufgezählten Hürden sind nicht geeignet, Missbrauch zu verhindern. Es scheint vielmehr so, dass sie den Zugang der Betroffenen zur Inanspruchnahme der Hilfe Dritter mutwillig erschweren und verhindern, dass Menschen zu ihrem Recht kommen. Der neuerliche Individualantrag beim Verfassungsgericht hat zum Ziel, diese und weitere ungerechtfertigte Erschwernisse durch eine Überarbeitung des Sterbeverfügungsgesetzes zu eliminieren.


Wie geht es nun weiter? Der Verfassungsgerichtshof wird zunächst prüfen, ob der Antrag grundsätzlich zulässig ist, und dann die Bundesregierung zu einer Gegenschrift veranlassen. Im besten Fall wird noch in diesem Jahr ein Gesetzesprüfungsverfahren eingeleitet. Zu einer mündlichen Verhandlung, bei der alle Parteien nochmals gehört werden, wird es aller Voraussicht nach nicht vor 2024 kommen.